Ob man sich in der längsten Nacht fürchten muss?

Die Nacht zum 21. Dezember ist die längste Nacht des ganzen Jahres. Die Bauern der Umgebung erzählen allerlei wilde Geschichten über diese Nacht: Dass da die Tiere im Stall reden können, um die Zukunft zu besprechen. Dass unverheiratete Frauen in dieser Nacht ihren Bräutigam sehen können. Oder dass die wilde Jagd umherzieht, um weiße Wäsche zu stehlen, die dann im Lauf des kommenden Jahres als Totenhemd wiederkommt.

Deshalb nehmen die Frauen sicherheitshalber die Wäsche von der Leine und meiden die Dunkelheit. Der Lehrer Gruber hält nicht viel von diesen abergläubischen Bräuchen, er wird nur nach alter Sitte mit Weihrauch und Weihwasser durch alle Räume gehen und dabei beten. Auch Stadel und Stall werden gesegnet, um für das nächste Jahr Gesundheit und Wohlstand zu erbitten.

Seine Frau Maria will die lange Nacht nützen, um Kletzenbrot zu machen. Zuerst schneidet sie getrocknete Birnen und Zwetschken in kleine Stücke, die werden weich gekocht. Dann kommen Gewürze, Honig und Nüsse dazu und werden unter den Brotteig geknetet. Die dicke Masse wird dann zu Stollen geformt und bei großer Hitze vorsichtig gebacken. Maria Gruber freut sich schon auf das saftige Kletzenbrot, das das Beste im Dorf sein soll.

Heute Nacht bleiben viele Fenster hell. Auch Franz Xaver Gruber sitzt bei seiner Frau und erzählt ihr von daheim, vom Innviertel, wo seine Leute als Leinenweber ein Auskommen finden. Dort muss in der längsten Nacht aller Flachs fertig versponnen werden, dann ruhen die Spinnräder nämlich bis nach dem Dreikönigstag. Und nach dem Abspinnen feiern Junge und Alte gemeinsam bei Speis und Trank und fröhlicher Tanzerei.

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